Helmut Pfleger - Ein Sympathischer Anachronismus

Eine der schönsten Formulierungen, die die deutsche Sprache meiner Meinung nach zu bieten hat, ist es, aus der Zeit gefallen zu sein.

Zu meiner grossen Freude beschrieb Helmut Pfleger mit dieser Formulierung nun sehr treffend seine Rolle in der heutigen Schachlandschaft. In einem ungewöhnlich ausführlichen Gespräch mit Johannes Fischer von ChessBase ließ Pfleger diese Woche sein langes Schachleben wieder einmal Revue passieren: 


Es gab mal Zeiten, in denen ich es etwas frustrierend fand, dass man bei ChessBase gefühlt immer nur Pfleger und Hort aufgetischt bekam, während durch die Konkurrenz anderswo im Internet Schach auf einmal aufregend, spannend, und modern präsentiert wurde. Oder, wie ich auf diesem Blog einmal schrieb: "Manchmal sieht man [Pfleger und Hort] noch auf ChessBase, wo sie in Erinnerungen schwelgen, Anekdoten aus ihrem langen (Schach-)Leben erzählen, und das Bedürfnis des mit ihnen in die Jahre gekommenen Publikums nach Nostalgie befriedigen."

Mittlerweile hat ChessBase in Sachen Präsentation aufgeholt; außerdem komme ich langsam in ein Alter, in dem auch ich nichts mehr gegen ein wenig Nostalgie einzuwenden habe. Ich freue mich mittlerweile jedenfalls immer über Neuigkeiten von Pfleger.

Obwohl ich schon viele Interviews und Videos von ihm gesehen habe, die meisten davon auf seinem "Haussender" ChessBase, war dieses Gespräch für mich erfrischend neu. Johannes Fischer zeigte sich als angenehmer und gut vorbereiteter Gesprächspartner. Und Pfleger selbst schaffte es dann tatsächlich, von vielen Begebenheiten seiner Karriere zu berichten, die ich noch nicht kannte. 

Normalerweise interessieren mich autobiografische Details bekannter Persönlichkeiten nicht besonders; Pfleger ist eine Ausnahme, denn er ist fast auf den Tag genau so alt wie mein Vater, und ebenfalls Arzt. Vieles von dem, was Pfleger hier in diesem Gespräch und an anderer Stelle über sein Berufsleben als Mediziner erzählt, kann ich zumindest aus Sicht eines Familienangehörigen gut nachvollziehen. 

Beeindruckt hat mich auch die Ehrlichkeit, mit der er in dem Gespräch anklingen ließ, dass neben allen schachlichen und beruflichen Erfolgen im Privatleben nicht immer alles glatt gelaufen ist. Das wirkte sehr ehrlich und entwaffnend, und viel authentischer als die Floskeln, die man von Prominenten normalerweise zu diesem Thema zu hören bekommt.

Seine rein schachlichen Ausführungen waren trotzdem interessanter; ohne mich hier mit Pfleger vergleichen zu wollen, fand ich vor allem seine Gedanken zu der Frage spannend, wie man ambitioniert Schach spielen kann, wenn man gleichzeitig einen sehr zeitintensiven Beruf hat. Auch wenn ich meilenweit von Pflegers Spielstärke entfernt bin, kenne ich das Problem.

Pfleger strahlt eine großväterliche Gutmütigkeit aus, die in der heutigen Schachszene in der Tat wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Seine reflektierte und besonnene Art hat jedenfalls nichts mit den Marktschreiern gemein, die man auf Twitch, Youtube, und sonstigen Kanälen der sogenannten sozialen Medien findet - und bei denen mich immer der Verdacht beschleicht, es geht ihnen nicht gar nicht um Schach, sondern nur um kommerzielle Selbstvermarktung. 

Ich schreibe auf diesem Blog und in der Zeitschrift Schach viel von dem kommerziellen Druck, dem die Schachwelt heute mehr und mehr ausgesetzt ist, seitdem sich der Kasinokapitalismus des Silicon Valley auch im Schach breit macht. Pfleger, der sich selbst nie als Schachprofi sah, wirkt dagegen als Amateur, Connoisseur und Grandseigneur wie ein sympathischer Anachronismus in einer Welt, in der es nur noch um Klickzahlen und Reichweite zu gehen scheint.

Und dann gegen Ende des Gesprächs noch eine echte Überraschung: Pfleger spielt gern Tandem! Als leidenschaftlicher Tandemspieler freut mich das, auch wenn ich erwartet hätte, dass er Tandem als Teufelszeug abtut. 

Zum ersten Mal begegnet bin ich Pfleger Anfang der 1990er bei den Landesjugendeinzelmeisterschaften von Schleswig-Holstein in Neumünster. Ich glaube, es war meine erste Teilnahme. Pfleger gab ein Simultan, und ich kam ganz schnell unter die Räder. Die Partie ist leider nicht überliefert, aber obwohl ich in dem Alter kaum mehr als die Schachregeln konnte, kann ich mich gut daran erinnern, mich darüber geärgert zu haben, nicht mehr Widerstand geleistet haben zu können. 


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