Play Magnus Gruppe gescheitert - Verkauf an Chess.com

“Sey mit Lust bey den Geschäften am Tage, aber mache nur solche, daß wir bey Nacht ruhig schlafen können“ 
Thomas Mann, Buddenbrooks: Verfall einer Familie

Einleitung

Ich arbeite im Silicon Valley an der Schnittstelle zwischen Cloud Computing, Risikokapital, und SaaS Startups. Davor habe ich für ein paar Jahre bei einer großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Bereich Private Equity und M&A gearbeitet.
Daher bin ich seit jeher von der Play Magnus Gruppe (PMG) fasziniert, denn durch sie kann ich meine berufliche Erfahrung mit Schach verbinden. Ich verfolge das Unternehmen seit Jahren mit großem Interesse, insbesondere die betriebswirtschaftliche Seite.

Während ich noch an einer Fortsetzung meines Artikels zur Play Magnus Gruppe arbeitete, erreichte mich heute völlig überraschend die Nachricht, dass das Management der PMG einem Verkauf des Unternehmens an den Hauptkonkurrenten Chess.com zugestimmt hat.

In einem merkwürdig unprofessionell wirkenden Video verkündeten Daniel Rensch, "Chief Chess Officer" von Chess.com, und ein sich sichtbar unwohl fühlender Magnus Carlsen die Entscheidung.


Für Rensch und Chess.com ist dies ein beachtlicher Erfolg. Für Carlsen und das nach ihm benannte Unternehmen hingegen eine bemerkenswerte Niederlage.

Die kurze Erfolgsgeschichte der Play Magnus Gruppe

Gegründet 2013, begann die kurze Erfolgsgeschichte der Play Magnus Gruppe im Grunde erst so richtig mit dem Börsengang 2020: auf einen Schlag kam die für ein Schachunternehmen fast schon unvorstellbare Summe von knapp 40 Millionen Dollar in die Kasse. 

Das Timing hätte besser kaum sein können: Online-Schach erlebte aufgrund der Corona-Pandemie einen weltweiten Boom, und mit Magnus Carlsen hatte die PMG eine ebenso charismatische wie zugkräftige Galionsfigur mit Einfluss weit über die Schachszene hinaus.
Auch das Börsenumfeld insgesamt war günstig: der Technologiesektor und insbesondere SaaS-Unternehmen wie die PMG waren die grossen Profiteure der Corona-Pandemie, weil ihre Geschäftsmodelle weitgehend unabhängig von den globalen Lieferkettenproblemen sind. Die Börsenkurse von Technologieunternehmen erreichten während der Pandemie kurzzeitig zum Teil aberwitzige Höhen. 

Dementsprechend strotzte das Unternehmen zu dieser Zeit nur so vor Selbstvertrauen. Noch im Jahresabschlussbericht 2021 war davon die Rede, man wolle beim Umsatz bis Ende 2025 die Marke von 100 Millionen Dollar knacken. 

Nicht einmal drei Jahre später aber nun das plötzliche und bittere Ende: Chess.com übernimmt die Play Magnus Gruppe für etwa 82,5 Millionen Dollar - also für weniger als das Vierfache des Jahresumsatzes der PMG. Zum Vergleich: demgegenüber bewertet Elon Musks kürzliches Angebot, Twitter für knapp 42 Milliarden Dollar zu übernehmen, Twitter mit dem mehr als Achtfachen des Jahresumsatzes von etwa 5 Milliarden Dollar. Auch wenn diese Fälle natürlich unterschiedlich gelagert sind, verdeutlichen sie doch den Unterschied in der Grössenordnung. Selbst Musks Angebot ist noch vergleichsweise niedrig. Für florierende Saas-Unternehmen müssen Käufer in der Regel noch deutlich höhere "Multiples" (Vielfache des Jahresumsatzes) zahlen.

Damit ist diese Übernahme aus Sicht von Chess.com ein echtes Schnäppchen, gerade auch in Anbetracht der vielen schachlichen Edelmarken, die von der PMG in der jüngeren Vergangenheit erworben wurden, und nun ebenfalls an Chess.com fallen. So z.B. mit New in Chess und Everyman Chess die zwei renommiertesten englischsprachigen Schachverlage. 

Kalte Füße in Oslo

Interessant ist natürlich die Frage, warum die Play Magnus Gruppe überhaupt ihrem Verkauf an Chess.com zustimmt bzw. ihn ihren Anteilseignern empfiehlt. Denn letzten Endes sind es die Eigentümer der PMG, und nicht das Management, die eine solche Entscheidung treffen. 
Offenbar hat das Management der PMG dem offiziell verbreiteten Optimismus selbst nicht geglaubt. Das Marktumfeld hat sich rapide verschlechtert (darauf komme ich gleich noch zurück), und auch der Stern von Aushängeschild Magnus Carlsen beginnt so ganz langsam zu sinken. Er steht im Herbst seiner Karriere, wird seinen WM-Titel nicht mehr verteidigen, und muss sich den Platz im Rampenlicht zunehmen mit den "jungen Wilden" (z.B. Pragg und Firouzja) teilen. Die Play Magnus Gruppe verkauft sich also gerade noch rechtzeitig, bevor die Strahlkraft der Marke Carlsen erst so richtig nachzulassen beginnt. 
Ausserdem weist das Management der PMG zurecht darauf hin, dass der von Chess.com gebotene Kurs deutlich über dem gegenwärtigen Aktienkurs des Unternehmens liegt. Daher ist dieser Notausstieg eine Art Ende mit Schrecken, um ein Schrecken ohne Ende zu vermeiden.
Dennoch wirft es natürlich ein ganz schlechtes Licht auf das Management der PMG, wenn einerseits ständig im Hurra-Stil Erfolgsmeldungen verkündet und Optimismus verbreitet wird, und man andererseits sofort den Notausgang wählt, sobald sich eine Gelegenheit dazu bietet. Aber auch das ist in der Welt der Startups leider keine Seltenheit. 

Dass die Play Magnus Gruppe nämlich wohl doch keine dauerhafte Erfolgsgeschichte werden würde, hatte sich offenbar auch an der Wall Street herumgesprochen: die Investmentbank Morgan Stanley gehörte noch beim Börsengang 2020 mit knapp 5% zu den wichtigsten Anteilseignern. Mittlerweile hat die Bank ihre Anteile an der PMG längst abgestoßen. 

Woran lag der überraschend schnelle Niedergang der Play Magnus Gruppe? Eine Mischung aus widrigen Umständen und schlechtem Management:

Ende des Schachbooms

So ist z.B. das Ende des Schach-Booms mittlerweile selbst zum Meme geworden:


In ihren Pressemitteilungen und Quartalsberichten suggerierte die PMG regelmäßig, es gäbe mehrere Milliarden Schachspieler auf der Welt, und dementsprechend mindestens hunderte Millionen potenzieller Kunden. Sich die Zahl der möglichen Kunden schönzurechnen gehört zwar zum kleinen Einmaleins von Startups, die Realität sieht aber natürlich anders aus. 
Der kurze Moment, den Schach während der Corona-Pandemie im Rampenlicht stand, ist schon wieder vorbei, und viele der Gelegenheitsspieler und Anfänger, die die Play Magnus Gruppe mit ihren Produkten beglücken wollte, sind längst zur nächsten Attraktion weitergezogen.
Der Kreis der Vereinsspieler, denen man immer wieder neue Eröffnungskurse zum Londoner System verkaufen kann, ist dagegen deutlich kleiner. 

Anleger hatten an der PMG langfristig wenig Freude. Das Allzeithoch zum Jahresende 2021 (Corona-Boom / Queen's Gambit / Schach-WM mit Carlsen in Dubai ) wurde nie wieder auch nur im Ansatz erreicht. Der Kurs, zu dem nun an Chess.com verkauft werden soll, liegt deutlich unter dem Ausgabekurs des IPO.

Makroökonomischer Gegenwind

Ausserdem gibt es makroökonomischen Gegenwind. Dazu gehören insbesondere die Zinserhöhungen durch die Notenbanken weltweit.

Steigende Leitzinsen sind nach allgemeiner Lesart schlecht für börsennotierte Technologieunternehmen und insbesondere Startups. Der Kurswert einer Aktie ist volkswirtschaftlich betrachtet nichts anderes als die auf die Gegenwart abgezinste Summe aller in der Zukunft erwarteten Unternehmensgewinne. Je höher der Zins, desto weniger Wert sind zukünftige Gewinne in der Gegenwart, und desto niedriger ist tendenziell der Aktienkurs. Anders ausgedrückt: je höher der Leitzins, desto besser sind Bargeld und Liquidität in der Gegenwart. 

Bei Startups liegt es aber in der Natur der Sache, daß Gewinne wenn überhaupt, dann erst in der Zukunft stattfinden werden. Die Play Magnus Gruppe ist, typisch für Startups, auch nach eigener Planung und trotz beeindruckenden Umsatzwachstums noch auf Jahre hinaus defizitär.
In diesem Zusammenhang sollte man übrigens das im Halbjahresbericht 2022 angekündigte Ziel, man wolle bis zum Jahresende 2022 die Schwarze Null erreichen, nicht allzu ernst nehmen. Es geht hier ausdrücklich um das "adjusted EBITDA", eine besonders manipulationsanfällige Kennzahl, weil hier der Kapitalfluss um Sondereffekte bereinigt wird. Solche Sondereffekte gibt es aber gerade bei Startups wie der Play Magnus Gruppe jede Menge.

Steigende Zinsen drücken nicht nur den Aktienkurs, sondern erschweren auch die Refinanzierung von Startups deutlich, denn zum einen wird die Finanzierung durch Fremdkapital (Kredite, ggf. auch die Ausgabe von Unternehmensanleihen) durch die gestiegenen Zinsen teurer, zum anderen die Finanzierung durch Eigenkapital (Ausgabe von Aktien) durch den fallenden Aktienkurs zunehmend unattraktiv. 

Ambitionierte SaaS-Startups sind allerdings auf Jahre hinaus auf externes Kapital angewiesen, um den Aufbau des Unternehmens, die Produktentwicklung, und den Vertrieb zu finanzieren, bevor man dann nach einigen Jahren langsam in die Gewinnzone kommt und das Tagesgeschäft aus laufenden Einnahmen finanzieren kann. 

Im Englischen spricht man beim zur Verfügung stehenden Kapital von Runway, also der Startbahn. Spätestens, wenn sie zuende ist, muss das Unternehmen aus eigener Kraft fliegen können. Oder neues Kapital einwerben, was aber aus den oben genannten Gründen im Moment sehr schwierig ist. 

So hat z.B. der "Y Combinator", eines der bekanntesten Gründerzentren im Silicon Valley, vor einigen Monaten einen in der Startup-Szene viel beachteten Brandbrief veröffentlicht, in dem die Portfoliounternehmen ausdrücklich vor Kapitalknappheit gewarnt werden.

Randnotiz: Im übrigen ist die Feststellung ernüchternd, dass selbst die meisten sogenannten Finanzjournalisten viele der elementaren Zusammenhänge, die ich hier beschreibe, nicht zu begreifen scheinen. Wenn ich mir ansehe, was zu dieser Übernahme zum Teil geschrieben wird, kann ich nur mit dem Kopf schütteln. 

Fehler des Managements

Wenn ein Unternehmen in Schieflage gerät, ist es im Nachhinein immer leicht, dem Management Versagen vorzuwerfen. So auch hier. Zur Wahrheit gehört aber auch, daß es für Außenstehende meist sehr schwer ist, zu erkennen, welche Fehler gemacht wurden und wie sie zustande kamen.
Man kann auch nicht alles, was nicht funktioniert, als Versagen abstempeln. Ein hohes unternehmerisches Risiko gehört bei Startups nun einmal zum Geschäftsmodell. 

Ich will hier im folgenden trotzdem versuchen, einige Fehler der Play Magnus Gruppe zu beschreiben, denn aus dem Unternehmen wurde in weniger als drei Jahren aus einem kapitalkräftigen Startup und Branchenprimus ein Sanierungsfall. Es ist also offensichtlich, dass das Management Fehler gemacht haben muss.

Der wahrscheinlich schwerste strategischer Fehler der Play Magnus Gruppe war es, keine attraktive Plattform zu entwickeln, auf der User einfach nur Schach spielen können. Alle Versuche mit Chess24 wirkten halbherzig; selbst der Name ist nicht besonders griffig, und den vollmundigen Ankündigungen zum Börsengang, man wolle hier auch technisch aufrüsten, hat man nie so richtig Taten folgen lassen. 
Stattdessen fokussierte sich das Unternehmen auf eSports und eLearning. Zwar mit beachtlichem Erfolg: man hatte das Gefühl, dass in in kürzester Zeit alles, was im Schach Rang und Namen hat, exklusiv für die PMG-Tochter Chessable Schachkurse produziert. Gleichzeitig bewies man mit der Meltwater Tour, dass Schach genauso professionell präsentiert und vermarktet werden kann wie Fussball, Tennis, oder führende eSport Marken.
Auch gelang es, mit dem (hochprofitablen) Kreditkartenriesen Mastercard und der schweizer Privatbank Julius Bär zwei Partner für die Meltwater Tour zu gewinnen, von denen man bei der FIDE oder dem Deutschen Schachbund nur träumen kann. 
Dennoch: durch das Fehlen einer attraktiven Plattform, auf der einfach nur Schach gespielt werden kann, hatte die Play Magnus Gruppe keine Möglichkeit, Schachspieler dauerhaft an sich zu binden. Nicht jeder User möchte ständig neue Kurse erwerben, viele wollen einfach nur ohne Kaufzwang Schach spielen. Und das taten sie dann auch - nur eben nicht bei Play Magnus, sondern bei Lichess und Chess.com. 
Mich würde interessieren, warum das Management der PMG die Entwicklung einer attraktiven Schachplattform nicht forciert hat. Ich vermute, dass man sich von Chessable (zurecht) höhere Margen versprach, als von den vergleichsweise geringen monatlichen Mitgliedsgebühren für eine eigene Schachplattform. So kostet bei Chess.com z.B. (Stand August 2022) hier in den USA eine Mitgliedschaft 5, 7, oder 14 Dollar im Monat, je nach Level. Die Chessable Kurse sind demgegenüber deutlich teurer; viele der "Lifetime Repertoires" kosten bis zu 300 Dollar. Ein stolzer Preis.  
Dennoch hätte die PMG meines Erachtens eine gute und für User kostenlose oder kostengünstige Schachplattform benötigt, um möglichst viele Spieler im Dunstkreis der eigenen hochpreisigen Angebote zu halten. 

Eine weitere Besonderheit, die beim Betrachten der Play Magnus Gruppe auffällt, ist der ungewöhnlich große Vorstand des Unternehmens. Verglichen mit einem Jahresumsatz von 21,5 Millionen Dollar im Jahr 2021 erscheint dieses Gremium etwas aufgebläht. Für ein so relatives kleines und junges Unternehmen ist es z.B. unüblich, sich einen "Chief Strategy Officer" zu leisten. In diesem Stadium ist die Unternehmensstrategie normalerweise Sache des Vorstandsvorsitzenden. 
Unüblich ist auch, dass viele der Vorstände nicht direkt bei der PMG angestellt sind, sondern über Beraterverträge bei den Tochtergesellschaften. Dafür mag es mir nicht bekannte Gründe geben, aber diese Praxis ist kompliziert, intransparent, und nicht geeignet, Vertrauen zu schaffen.

Ein Blick in den Jahresabschlussbericht 2021: Der Vorstand wirkt etwas zu groß

Letzten Endes hätten hier meines Erachtens der Aufsichtsrat und die Investoren auf eine schlankere und transparentere Unternehmensspitze drängen sollen. 
Trotzdem muss man sagen, dass sich die Play Magnus Gruppe diesen Wasserkopf durchaus hätte leisten können, wenn die eigenen Umsatzziele denn auch wirklich erreicht worden wären. 

An die Börse zu gehen, ist für die Anteilseigner eines Unternehmens in der Regel sehr lukrativ. Es ist aber auch ein drastischer Schritt, der sich längst nicht für alle Unternehmen und Branchen eignet.

Vielleicht war sogar der Börsengang 2020 ein Fehler, denn obwohl er, wie eingang beschrieben, zu einem denkbar günstigen Zeitpunkt erfolgte, ist zweifelhafter denn je, ob der Schachmarkt wirklich die Renditen bieten kann, die nötig sind, um als Unternehmen dauerhaft börsennotiert zu sein.

An die Börse zu gehen, ist sehr teuer. Dort zu bleiben, auch. Insbesondere für kleinere Unternehmen sind die regulatorischen Anforderungen sehr hoch und kostspielig. Auch das muss dauerhaft finanziert werden.

Darüber hinaus holt man sich mit Risikokapitalfirmen und Investmentbanken Aktionäre ins Boot, die extrem aggressiv auf hohe Eigenkapitalrenditen drängen. Ruhige, besonnene Unternehmensführung wird dadurch nicht einfacher, um es vorsichtig zu formulieren.

Wenn ein Unternehmen an die Börse geht, ist das in der Regel zunächst einmal sehr lukrativ für die Eigner und das Management des Unternehmens. Ob auch langfristiger Mehrwert für später dazugekommene Aktionäre geschaffen wird, ist längst nicht immer klar. 

Auch Chess.com plant, die Play Magnus Gruppe von der Börse zu nehmen.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass mit Chess.com sich nun dasjenige Unternehmen durchgesetzt hat, das sich nach wie vor in Privatbesitz befindet. Auch Chessbase, New In Chess und Everyman Chess sind bzw. waren Firmen, die den Gang an die Börse entweder nicht wollten oder mangels Masse nicht konnten. 

Allerdings: auch von Chess.com wird früher oder später ein Börsengang zu erwarten sein, denn die beteiligten Kapitalgeber werden sich in irgendeiner Form ihren Einsatz vergolden lassen wollen und müssen: Die grossen Risikokapitalunternehmen des Silicon Valley z.B., also Firmen wie Andreessen Horowitz, Kleiner Perkins, oder Sequoia Capital, legen (etwas vereinfacht gesagt) in der Regel Fonds mit Laufzeiten von etwa 10 Jahren auf, über die sie dann das von Investoren eingesammelte Geld in Startups investieren. Am Ende der 10 Jahre werden die Kapitalgeber dann ausgezahlt. Venture Capital Unternehmen müssen sich also genau überlegen, in welche Startups sie investieren, wann sie investieren, und wann und wie sie dann mit Gewinn wieder aussteigen - in der Regel per Börsengang. 

Auch für die an Chess.com beteiligten Geldgeber tickt also vermutlich die (Schach-)Uhr. 

Magnus Carlsen 2015 als Lamborghini Markenbotschafter. Dem Volkswagenkonzern blieb er treu, er drehte einige Jahre später einen Werbespot für Porsche.

Magnus Carlsen

Für Magnus Carlsen persönlich war und ist die Play Magnus Gruppe eine Erfolgsgeschichte, zumindest finanziell. Multimillionär ist Carlsen durch seine schachlichen Erfolge und Einnahmen als Werbepartner ohnehin. 
Zugleich war und ist er zusammen mit seinem Vater über die Firma Magnuschess AS wichtigster und größter individueller Anteilseigner der Play Magnus Gruppe. Beim Börsengang des Unternehmens 2020 waren die von ihnen gehaltenen Anteile etwa 12 Millionen Dollar wert.
Zur Zeit halten sie noch 9% an der PMG; Chess.com zahlt etwa 82,5 Millionen Dollar für die Play Magnus Gruppe, das entspricht knapp 7,5 Millionen Dollar für Carlsen und seinen Vater. Ein deutlicher Verlust, allerdings immer noch sehr viel Geld.

Allerdings gehe ich davon aus, das Carlsen seine Anteile im Zuge dieser Akquisition nicht zu Geld machen wird, sondern in Anteile an Chess.com umtauschen wird, eine Möglichkeit, die nur grossen Anteilseignern offensteht.
Da wie gesagt auch Chess.com vermutlich früher oder später den Weg an die Börse suchen wird, bahnt sich hier für Carlsen ein weiterer möglicher Zahltag an. 

Trotzdem würde es mich nicht wundern, wenn Carlsen den Verkauf an Chess.com als Scheitern empfindet. Geld hat er ohnehin genug. Nun muss er mitansehen, wie sein mit viel Vorschusslorbeeren gestartetes Unternehmen, das auch noch seinen Namen trägt, abgewickelt und an den Hauptkonkurrenten verkauft wird. 

Ausblick

Wie sich diese Übernahme auf die Schachwelt auswirken wird, lässt sich im Moment noch nicht absehen. 

In den einschlägigen Foren und auf Twitter wurde bereits vielfach davor gewarnt, dass dieser Zusammenschluss nichts Gutes für einfache Schachspieler und Kunden beider Firmen bedeuten würde. In der Tat, Konkurrenz belebt das Geschäft, und die gibt es nun nicht mehr. 

Ich bin in dieser Hinsicht allerdings nicht ganz so pessimistisch, denn mit Lichess gibt es mittlerweile eine Alternative, die innovativ und qualitativ hochwertig fast alles kostenlos abdeckt, wofür man als Kunde bei Chess.com oder der PMG Geld bezahlen müsste. 

Ich selbst bin vor einigen Jahren von Chess.com auf Lichess umgestiegen, vor allem weil die Benutzeroberfläche deutlich schlanker und schneller wirkt. Ich wüsste nicht, wie mich die verbliebenen kommerziellen Anbieter je wieder als Kunden für ihre Schachserver zurückgewinnen könnten. 

Aber in der Tat, für viele der Autoren, die gerade in den letzten Jahren sehr viele Schachkurse auf Chess.com und erst recht der Play Magnus Tochter Chessable veröffentlicht haben, wird es durch die dramatische Konsolidierung auf dem Schachmarkt sicher nicht einfacher. Das gilt besonders für die Autoren aus der zweiten und dritten Reihe.

Interessant zu beobachten sein wird das zukünftige Verhältnis des quasi-Monopolisten Chess.com zur FIDE. 
Auch wenn es mich als Schachfan schmerzt, es zu sagen, muss man wohl feststellen, dass die Weltmeisterschaftskämpfe immer mehr an Glanz verlieren. Anand-Kramnik oder Carlsen-Karjakin ist einfach nicht mit Spasski-Fischer oder Kasparov-Karpov zu vergleichen.
Gleichzeitig macht sich die FIDE durch Korruption und Kreml-Nähe lächerlich und überflüssig. Und das auch noch genau zu dem Zeitpunkt, wo die Play Magnus Gruppe eine hervorragend organisierte und präsentierte Profi-Tour für die Weltspitze aus dem Boden stampft. Nicht ausgeschlossen, dass Chess.com in Zukunft auch einen eigenen, "klassischen" Weltmeistertitel ausspielen möchte. 
Vielleicht befindet sich die FIDE auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit. Ob es allerdings besser ist, wenn statt eines globalen Sportverbandes ein auf Profitmaximierung angelegtes Privatunternehmen das globale Spitzenschach lenkt, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht wird das mal Gegenstand eines zukünftigen Artikels auf diesem Blog.

Fazit

Auch wenn man z.B. aus dem Silicon Valley regelmäßig märchenhafte Erfolgsgeschichten hört über (SaaS)-Startups, die ganze Branchen umkrempeln, und dabei gewaltigen Reichtum für ihre Gründer und Investoren schaffen, ist es eine Tatsache, dass die überwiegende Zahl von Unternehmensgründungen scheitert. Dass es nun auch die Play Magnus Gruppe erwischt hat, ist daher nicht weiter bemerkenswert. Besonders ist nur, dass nun auch das allererste börsennotierte Schachunternehmen betroffen ist.

Dass es für die Play Magnus Gruppe langfristig nicht einfach werden würde, war trotz des fulminanten Börsengangs vor zwei Jahren relativ schnell klar. Dass es nun so schnell zuende gehen würde, kam trotzdem überraschend. Verantwortlich sind nicht nur widrige äußere Umstände, sondern auch ganz klar Fehler des Managements, vor allem ein (vorgespielter?!) Optimismus und unrealistische Wachstumspläne, die von Anfang an wenig mit der Realität zu tun hatten. 

Um das Management der PMG braucht man sich keine Sorgen zu machen - dort wurde bereits beim IPO abgesahnt. Schade ist es hingegen für die Kleinanleger, die ihre Anteile nun weit unter dem Ausgabepreis an Chess.com zwangsverschleudern müssen. In dem eingangs erwähnten Video wäre daher etwas mehr Demut und etwas weniger Heuchelei angebracht gewesen - aber natürlich nicht zu erwarten. Es geht bei dieser Übernahme selbstverständlich nur ums Geld, und nicht darum, "aufregende Projekte für Schachfans" anzustossen. 

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass man als Kleinanleger von Startups (ich behaupte sogar: von Einzelaktien allgemein) die Finger lassen sollte. Zum Vermögensaufbau sind Startups nicht geeignet.

Kommentare

  1. danke für die Analyse - spot on. Ich bin selbst auch Founder und nebenbei begeisterter Schachspieler und habe mit daher auch die Magnus Aktie zugelegt und musste nun leider den langen Niedergang mitmachen. Aber nach dem letzten Quartalsbericht war eigentlich klar, dass es hier wenig Hoffnung gibt, mit diesen schwachen Wachstumszahlen ist die einstmals hohe Bewertung nicht zu rechtfertigen und die Burn-Rate ist immer noch extrem hoch. Die Story, dass man mit nächstem Jahr break even erreichen will ist wenig glaubhaft. In diesem Sinne werde ich meine Anteile zum Angebotspreis verkaufen (und hoffe, dass da nicht noch was dazwischen kommt)

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