Der Schachbund 2020 - eine Bestandsaufnahme

Nachdem ich meinen Blog diese Woche wieder zum Leben erweckt habe, erreichten mich bereits die ersten ermutigenden Kommentare per Email und Twitter. Darüber freue ich mich natürlich sehr. Oder, wie es bei Otto Waalkes in seiner Nummer "Das Brechmittel" so schön heisst: "Vielen Dank. Vielen Dank. Der Applaus ist gerechtfertigt"...

Über kritische Anmerkungen freue ich mich natürlich ebenso.

Zu meinem letzten Artikel über den DSB-Hauptausschuss erreichte mich von einem Schachfreund die Frage, ob ich an der folgenden Stelle nicht zu milde über das DSB-Präsidium geurteilt hätte.

"Auch wenn viele der aktuellen Krisen (z.B. etwa die "Causa Jordan", Entlassung des Bundestrainers Rogozenco; Päthz vs. Meier; Schachjugend vs. DSB) nicht direkt von der gegenwärtigen Führungsriege verursacht wurden, betreibt der DSB doch ein grottenschlechtes Krisenmanagement."

Es ist in der Tat merkwürdig, dass es beim Schachbund so schlecht läuft, obwohl in der Führungsriege eine ganze Reihe von Leuten dabei ist, die in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie es eigentlich besser wissen und besser können.

Ganz grundsätzlich bin ich der Meinung, dass das DSB-Präsidium viele richtige strategische Initiativen verfolgt - etwa der Fokus auf Schulschach/Jugendschach, der Meisterschaftsgipfel, die Amateurmeisterschaft, und vor allem der Versuch, Online-Schach als Bereicherung und nicht als Bedrohung für die Schachvereine zu positionieren; im Tagesgeschäft allerdings und vor allem im Krisenmanagement reagiert der Verband aber leider oft hilflos und chaotisch. 

Marcus Fenner hat offensichtlich seinen Laden nicht im Griff, und nicht genug Einfühlungsvermögen für die Leitung eines grossen gemeinnützigen Verbandes, den man auch als "Geschäftsführer" nicht einfach so nach Gutsherrenart leiten kann wie das vielleicht als Patriarch in einem Familienunternehmen möglich wäre. Ullrich Krause hingegen hat viele tolle Ideen, sollte sich aber mehr ums Tagesgeschäft kuemmern und weniger moderieren und deligieren.

Der Krisenstab des Schachbunds hatte auch 2020 wieder alle Hände voll zu tun

Wie konnte es soweit kommen, musste das sein, und wer hat versagt? Ich habe in meiner beruflichen Tätigkeit gelernt, dass es sehr viel besser ist, seine Energie auf die konstruktive Lösung von Problemen zu konzentrieren als auf die Hinrichtung von vermeintlich Schuldigen. Der Vollständigkeit halber hier aber noch ein paar kurze Einschätzungen zu den gegenwärtigen Problemen. Leider ist diese Aufzählung nicht einmal vollständig.


Causa Jordan, oder auch: Nepper, Schlepper, Bauernf
änger  
Ein ganz heisses Eisen. Ich gehöre hier wohl zu der kleinen Minderheit, die der Meinung ist, dass der Schachbund zumindest in dieser Angelegenheit im grossen und ganzen alles richtig gemacht hat, und kaum anders handeln konnte. 

Jordans Verhalten war kriminell und schäbig. Die Tatsache, dass er den DSB über seine von den Hotels gezahlten Provisionen im Dunkeln liess, spricht für sich.

Der Umstand, dass seine Turnierserie gut organisiert und sehr beliebt war, und er deswegen grosse Sympathie unter den Teilnehmern genoss, ändert an der rechtlichen und moralischen Bewertung gar nichts.

Der Schachbund hatte öffentlich zwar einen schweren Stand, als bekannt wurde, dass man sich vom beliebten Turnierorganisator trennen wolle, ohne dabei genaue Gründe oder gar Details preiszugeben. Aufgrund der damals schon zu erwartenden gerichtlichen Auseinandersetzungen konnte der DSB meines Erachtens aber auch nicht anders handeln. 

Ullrich Krause meinte in seiner Stellungnahme im Nachhinein, dass "eine offensivere Öffentlichkeitsarbeit möglicherweise die bessere Strategie gewesen wäre". Vielleicht hat er nicht ganz Unrecht, trotzdem glaube ich, dass der Schachbund gut beraten ist, Konflikte im Allgemeinen und Personalstreitigkeiten im Besonderen behutsam zu kommentieren. Als gemeinnütziger Verein ist es richtig, dass sich der DSB in dieser Hinsicht eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. So frustrierend das für die Schachöffentlichkeit, die ja immer nach noch mehr Details lechzt, auch sein mag. 

Wenn man dem DSB etwas vorwerfen kann, ist es wohl eher eine gewisse Naivität Jordan gegenüber. Das betrifft dann allerdings vor allem die Vorgänger des gegenwärtigen Präsidiums, die bei Verträgen dieser Grössenordnung einfach genauer hätten hinsehen müssen.

Vorsicht Falle. Eduard Zimmermann warnt: bei Hotelprovisionen immer ganz genau hinschauen!

Der Fall Rogozenco, oder auch: Schuld hat immer der Trainer

Soweit man das von aussen beurteilen kann, ist Rogozenco ein sehr fähiger Trainer, dem es allerdings im zwischenmenschlichen Bereich mangelt. Seinen Posten als Bundestrainer hatte er schon, bevor das derzeitige Präsidium gewählt wurde. Was lief falsch? Der Schachbund hätte früher auf die Misstimmungen unter den Nationalspielern eingehen müssen; diese wiederum hätten sich ihr "Ultimatum" sparen sollen. Ein zumindest in dieser Art für mich völlig vermeidbarer Konflikt. Ausserdem unterscheiden sich die Nationalspieler ja deutlich in Spielstärke und individuellen Bedürfnissen voneinander. Ein Bundestrainer kann das nicht sinnvoll alles abdecken.
Kinderpsychologe Dr. Prügelpeitsch
meint dazu: "Nationalspieler haben es nicht gern, wenn sie jeden Tag den gleichen Trainer vorgesetzt bekommen. Sie verlangen nach Abwechslung"
Und die gibt es jetzt! Jedenfalls kann ich es nur begrüssen, wenn sich Schachbund und Nationalspieler nun offenbar regelmässig austauschen wollen, um zielgenauere Trainingsmöglichkeiten zu besprechen. Wobei die Frage erlaubt sein muss, warum ein solcher Dialog nicht schon längst stattfindet. 

Päthz vs. Meier: ohne Worte
Eine Nationalspielerin wird gegen
über einem Kollegen ausfällig und die Sache schlägt in den sozialen Medien hohe Wellen. Einerseits ist es natürlich leicht zu sagen, der Schachbund "hätte früher reagieren müssen". Das lässt sich im Nachhinein ja immer mit grosser Selbstgerechtigkeit feststellen. Andererseits ist es meiner Meinung nach nicht vorrangig die Aufgabe des Schachbunds, dafür zu sorgen, dass Nationalspieler fair und anständig miteinander umgehen. Da ist schon die Eigenverantwortung jedes Einzelnen gefragt. Da es in der Nationalmannschaft allerdings auch um Geld geht, sollte man in Anbetracht der Dinge vielleicht trotzdem einen Verhaltenskodex in Erwägung ziehen, um gegebenenfalls wenigstens Sanktionen leichter durchsetzen zu können. 

Nachtrag:
Mit dieser Einschätzung war ich nicht ganz auf der Höhe der Zeit, denn nach der Veröffentlichung erreichte mich von Schachfreund Meier der folgende Hinweis:



Die entsprechenden Unterlagen kann man im Referat Leistungssport auf der Website des Schachbunds einsehen. Und dort heisst es in der Tat:

Grob unsportliche Verhaltensweisen, wie die Anwendung von Doping, die Verwendung unzulässiger Hilfsmittel, Kauf und Verkauf von Partien und Betrug werden verurteilt. Verstöße werden geahndet und führen zum Abbruch der Förderung. Von allen Kaderspielern wird sportlich faires Verhalten erwartet. 

Schachfreund Meier hat also recht. Dadurch wird die formale Beurteilung des Sachverhalts noch einfacher. 

Leider gilt aber auch hier natürlich der Satz quod licet Iovi non licet bovi. Einen vergleichsweise unbekannten oder weniger wichtigen Nationalspieler hätte man vielleicht eher mit Sanktionen belegt. Bei DEM Aushängeschild des Frauenschachs in Deutschland schlechthin wollte man sich das offensichtlich nicht erlauben. Das könnte noch zu einem Glaubwürdigkeitsproblem führen, wenn in Zukunft ansderswo doch mal durchgegriffen wird.

Auf allen Seiten nur Verlierer. Tut mir leid für GM Meier, der sich sicher andere Publicity gewünscht hätte. Denn im Grunde ist es doch genau richtig, und für Schachfans wie mich auch sehr interessant zu verfolgen, dass GMs auf Twitter ab und zu mal was über ihr schachliches Treiben berichten. Viele andere Spitzen-GMs praktizieren das ja auch mit grossem Erfolg.   

Immerhin, vielleicht lässt sich wenigstens der positive Nebeneffekt festhalten, dass es beim Schachbund jetzt eine gewisse Sensibilisierung fürs Thema gegeben hat. Wobei ich trotzdem der Meinung bin, dass anständiges Verhalten zunächst in der Verantwortung eines jeden Einzelnen liegt. 

Schachbund vs. Schachjugend, oder auch: Real existierende Unabhängigkeit?
Auch ein ganz heisses Eisen. Und ein Konflikt, den das derzeitige Präsidium "geerbt" hat. Immerhin muss man sagen, dass dieses Thema ja nun hoffentlich seinen vorläufigen Abschluss gefunden hat, nachdem die Schachjugend in ihre real existierende (?!) Unabhängigkeit entlassen wurde. Ich rechne zwar fest damit, dass es zwischen DSB und DSJ auch in Zukunft noch krachen wird, wenn es um Geld, Befugnisse, und Zuständigkeiten geht; dennoch können sich DSB und DSJ nun hoffentlich endlich wieder auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren. 

Der Schachbund kassiert Denkzettel
Nach den ganzen Querelen der letzten Zeit ist es nicht verwunderlich, dass das Präsidium schon so manchen Denkzettel verpasst bekommen hat. Gerade erst wieder beim Hauptausschuss, als der Antrag des DSB zur Finanzierung der "Starthilfe" für die Schachjugend krachend scheiterte.


2020 war kein gutes Jahr für den Schachbund. Die internen Querelen haben leider dafür gesorgt, dass viele gute Gelegenheiten verpasst wurden. Auch hat man leider nichts darüber gehört, wie man den durch Corona in Not geratenen Schachvereinen vor Ort helfen kann. Oder wie man das gegenwärtig sehr hohe Interesse am Schachspiel in eine Eintrittswelle in die Schachvereine ummünzen könnte.

Ich wünsche mir für 2021, dass es wieder mehr um Schach, und weniger um den Apparat Schachbund geht. In diesem Sinne, um es mit Dieter Hildebrandt zu sagen: Ich hoffe, Sie verzeihen mir meine Leidenschaft. Ich hätte Ihnen die Ihre auch gerne verziehen!

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