Schach ohne Vereinszwang - Angebote für Anfänger und Nicht-Vereinsspieler

In meinem letzten Artikel über das Vereinssterben im Raum Lübeck traf ich die mittlerweile banale Feststellung,

"dass Schach zur Zeit einen noch nie dagewesenen Boom erlebt. Die Stichworte Corona und Damengambit begegnen dem geneigten Leser ständig, meist noch garniert mit der griffigen Anekdote, dass inzwischen landauf und landab sogar die Schachbretter knapp werden."

Loriot würde sagen "das ist fein beobachtet. Jederman weiss, wie peinlich solche Stellen gerade bei Literaten minderer Qualität wirken können" (Loriot, Literaturkritik, 1972).

Aber im Ernst. Die eigentliche Frage ist ja, wie man diesen anhaltenden (?!) Boom in einen nachhaltigen Mitgliederschub für die Vereine im Land ummünzen kann. Falls der derzeitige Hype nur ein Strohfeuer sein sollte (was ich befürchte), ist diese Frage sogar noch relevanter, denn man muss die Gunst der Stunde nutzen.

Wenn ich das Blätterrauschen in der Schachpresse und den einschlägigen Internetforen richtig deute (und dafür spricht einiges 😜), wird allgemein empfohlen, Schachspieler auch ausserhalb des vereinsmässig organisierten Wettbewerbs anzusprechen. Insbesondere geht es darum, für an Schach interessierten Menschen Angebote zu machen, ohne sie gleich mit dem Holzknüppel zum Eintritt in den Schachverein zu zwingen. 

So lautet ja z.B. einer der Hauptkritikpunkte an der an sich sehr beliebten und erfolgreichen DSOL, dass dieser Wettbewerb nur Vereinsspielern offensteht. Ich schliesse mich dieser Kritik nicht an; ich finde, die DSOL ist in ihrer jetzigen Form vollkommen in Ordnung. Gleichzeitig wäre es aber bestimmt ein interessantes Experiment, Schachturniere auch für nicht-Vereinsspieler anzubieten. Kürzere Turniere als die DSOL wären hier sicher besser, weil nicht zu erwarten ist, dass Anfänger, die zum ersten mal in ihrem Leben "ernsthaft" Schach spielen, gleich eine ganze Saison lang durchhalten. Das gilt insbesondere, weil gerade anfangs die Erfolgserlebnisse ja eher rar gesäht sind.

Mein ehemaliger Verein, der Lübecker Schachverein, hat dank kräftiger Unterstützung einer Stiftung eine neue Initiative gestartet, mit der explizit auch Schüler angesprochen werden sollen, die sich zwar für Schach interessieren, sich aber den Eintritt in einen Verein noch nicht oder vielleicht auch gar nicht vorstellen können. Hintergedanke ist natürlich, dass ein paar dieser Kinder dann wahrscheinlich doch im Verein landen werden. Wer weiss, vielleicht ist ja auch ein neuer Rasmus Svane dabei...


Die hier beschriebene Initiative des Lübecker Schachvereins ist sehr lobenswert und hoffentlich von Erfolg gekrönt. Mich würde allerdings noch mehr interessieren, wie ein solches Projekt für erwachsene Anfänger aussehen und ausgehen würde. 

Es wird ja allgemein lamentiert, dass Schach zur Zeit nur online möglich ist. Insbesondere eingefleischte Vereinsspieler bedauern dies. Andererseits hilft das vielleicht auch, Hemmschwellen bei erwachsenen Anfängern abzubauen, die sich nun nicht die Blöße geben müssen, beim Vereinsabend als "der Neue" vorgeführt und herumgereicht zu werden. Aus der Anonymität des eigenen Wohnzimmers spielt es sich nun mal leichter. 

Ich habe in dieser Hinsicht sogar einmal berufliche Erfahrungen gesammelt. Vor vielen Jahren arbeitete ich einmal für eine staatliche Lotteriegesellschaft, die auch für die Aufsicht über die Kasinos im Land zuständig war. Damals, als der ganz grosse Pokerboom so langsam zuende ging, beschäftigten wir uns mit der Frage, wie man neue Spieler zum Pokern in die Kasinos bekommen kann. Dabei war die Hemmschwelle im Vergleich zu Schachvereinen noch höher, denn zum einen wird im Kasino um Geld gespielt. Ausserdem wimmelt es beim Pokern nur so vor echten und selbsternannten Profis, die mit ihrem zur Schau gestellten Selbsbewusstein und ihrer demonstrativen Siegesgewissheit eher abschreckend auf neue Spieler wirken. 

In "Der Clou" (Englisch: "The Sting") spielt Paul Newman einen liebenswerten Ganoven, der in dieser Szene eine Pokerrunde aufmischt, alle anderen Spieler abzockt, und sich dann auch noch die ganze Zeit über die Verlierer lustig macht. Für mich eine der besten Szenen der Filmgeschichte. 
Und trotzdem: mit einer solchen Person möchte man nicht Pokern. Und Schach spielen auch nicht. 

Ein Lösungsvorschlag war damals, im Kasino elektronische Pokerterminals mit Touch Screens aufzustellen. Dort sitzen die Spieler dann für sich allein, nehmen aber alle am gleichen Spiel teil. Also das gleiche Prinzip: dadurch, dass die Spieler nicht am gleichen Tisch sitzen, sinkt die Hemmschwelle für Neulinge, es vielleicht doch einmal zu versuchen. 

Randbemerkung Pokern: Für Kasinos ist Poker eine zweischneidige Sache. Auf der einen Seite ist das Spiel ein Publikumsmagnet (oder war es bis vor kurzem jedenfalls) und bringt Leute ins Haus. Andererseits verliert der Spieler bei allen anderen Kasinospielen (Roulette, Baccarat, Spielautomaten etc.) sein Geld direkt an die Bank. Beim Poker verliert er es in der Regel an einen anderen Spieler, der damit unter Umständen das Kasino verlässt. Die Margen beim Pokern sind für das Kasino also deutlich schlechter.

Wie auch immer. Mittlerweile hat jeder begriffen, dass wir in einer schönen neuen Schachwelt leben. Wirklich neu finde ich vor allem den Aspekt, dass es jetzt so viele erwachsene Anfänger gibt.

Auch wenn dann immer schnell nach dem Schachbund gerufen wird, der "irgendwas machen" soll, um neue Mitglieder zu gewinnen, sind hier meiner Meinung nach in erster Linie die Vereine gefragt. Schach wird vor allem im Verein ge-lebt und er-lebt, und ob sich jemand für den Eintritt in einen Verein entschliesst, liegt in erster Linie an der Attraktivität des Angebots, das der Verein machen kann. 

Daher bin ich wirklich gespannt, was vereinsseitig noch alles kommt. 

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