Schach bei den Hoosiers - ein Besuch des Schachvereins der Indiana University

Einleitung

Mehrmals im Jahr habe ich Gelegenheit, für ein paar Wochen auf dem Campus der Indiana University in Bloomington zu wohnen, da meine Frau hier gerade ihren Doktortitel abschliesst. Mittlerweile bin ich selbst in einem Alter, in dem mich Studenten für einen Professor halten. Vielleicht empfinde ich gerade deshalb diese Zeit umgeben von so viel jugendlichem Elan immer wieder als sehr erfrischend. Kürzlich hatte ich sogar Gelegenheit, den Spielabend des Schachvereins der Universität zu besuchen. Ein Erfahrungsbericht.

Schach bei den Hoosiers

Indiana gilt als der konservativste unter den ehemaligen Nordstaaten der USA. In dem ländlich geprägten Bundesstaat wehen überall Donald Trump Fahnen von riesigen Pickup Trucks; in vielen Kleinstädten befinden sich an jeder Kreuzung gefühlt zwei Waffenläden und zwei unheimlich wirkende fundamentalchristliche Kirchen. Der ultrakonservative Mike Pence war, bevor er Donald Trumps Vizepräsident wurde, jahrzehntelang in der Politik Indianas aktiv, und erfreut sich hier trotz aller persönlichen und politischen Skandale auch heute noch hoher Beliebtheitswerte.  

Hoosiers ist nicht nur der Titel eines Films mit Gene Hackman, sondern auch eine Bezeichnung für die Einwohner Indianas. Der Film leidet an dem für Sportfilme üblichen Kitsch, ist aber dennoch ein schönes Zeitdokument über das Indiana der 50er Jahre. In Deutschland ist der Film unter dem Titel Freiwurf bekannt.
Der Schlachtruf "GO Hoosiers!" begleitet die lokalen Sportmannschaften quer durch die USA. 

Ganz Indiana ist also von reaktionärem Zeitgeist beseelt. Ganz Indiana? Nein! Eine von unbeugsamen Studenten bevölkerte Stadt hört nicht auf, diesen konservativen "Yokels" Widerstand zu leisten. 

Bloomington, etwa eine Autostunde südwestlich von Indianapolis gelegen, ist eine sehr schöne Studentenstadt, die mit der Indiana University eine der größten Universitäten des Landes beherbergt. 

Die Indiana University in Bloomington hat einen sehr grossen, sehr grünen, und sehr schönen Campus. 

Dank der sich langsam lockernden Coronabestimmungen ist in den letzten Monaten auch das Studentenleben wieder aufgeblüht. Auf dem Campus wimmelt es nur so von Studenten, die Restaurants und Kneipen sind auch unter der Woche brechend voll, und auch die verschiedensten Clubs und Vereine der Uni sind mittlerweile zum Normalbetrieb zurückgekehrt. Es besteht in Gebäuden allerdings nach wie vor Maskenpflicht, die erfreulicherweise auch ziemlich gut eingehalten wird. 

Ich war vor knapp zwei Wochen also sehr gespannt, was mich erwarten würde, als ich mich auf den Weg machte, den Spielabend des Unischachvereins zu besuchen. Die Website des Vereins ist jedenfalls noch ausbaufähig. 

Der Schachverein der Indiana University trifft sich jede Woche in der mondänen Indiana Memorial Union. 

Der Schachverein trifft sich jede Woche in der mondänen Indiana Memorial Union, einem der Zentralgebäude der Universität. 

Gleich bei der Ankunft staunte ich nicht schlecht, denn statt der erwarteten Handvoll Spieler fand ich einen gut gefüllten Seminarraum vor, und musste zur Anmeldung sogar Schlange stehen. Nachdem ich meinen Namen und meine Emailadresse in einen Laptop eingetippt hatte, händigte mir einer der Organisatoren einen Spielsatz aus. Einer der anwesenden Studenten kam auch gleich auf mich zu und lud mich zu einer Partie ein.  

Wir stellten uns kurz einander vor, und dann ging es auch schon los. Ich bekam es mit Quincy zu tun, einem Musikstudenten kurz vor dem Abschluss. Während unserer Partien konnte ich im Gespräch dann gleich noch meine Neugier befriedigen, wie ein Musikstudium eigentlich abläuft.

Da wir keine Schachuhr hatten, nutzten wir kurzer Hand das iPhone meines Gegners, das er per App in eine Schachuhr verwandelte. Der technische Fortschritt macht eben auch vor Schach nicht halt. Als Behelfslösung nicht schlecht, trotzdem für mich etwas ungewohnt.  
Und in der Tat - genau wie bei Loriot viele seiner Sketche auf der "Tücke des Objekts" beruhen (siehe etwa "Nudel", "Staubsauger", und "Sitzgruppe") - hatte ich mit dieser Variante auch so meine Schwierigkeiten. Aus mangelnder Gewohnheit habe ich die "Uhr" regelmäßig gar nicht oder zu spät gedrückt, gelegentlich die falsche Stelle getroffen, und mich aus Angst, das Handy zu beschädigen insgesamt sehr ungeschickt angestellt. Bei nächster Gelegenheit werde ich meine Schachuhr mitbringen. 

Es war erstaunlich ungewohnt, nach vielen Monaten Schach am Bildschirm wieder echte Figuren in der Hand zu haben. Vor allem die konkrete Zeiteinteilung und Variantenberechnung während der Partie gestalteten sich überraschend schwierig. Weniger überraschend war da wohl schon eher, dass ich in meiner ersten "richtigen" Partie nach der Coronapause in einer Gewinnstellung prompt eine relativ simple taktische Wendung übersah, die mich dann doch noch die Partie kostete. 

Nach einigen weiteren Partien mit für mich erfreulicherem Ausgang verabschiedete sich mein Gegner dann höflich mit den Worten, er müsse jetzt zur Orchesterprobe. 

Danach hatte ich Gelegenheit, während ein paar Blitzpartien mit einem der Organisatoren des Clubs zu sprechen. Der aus Indien stammende Karthik studiert an der Indiana University Betriebswirtschaft und kümmert sich als einer der "Vice Presidents" seit knapp zwei Jahren nebenher auch um den Schachverein. Wenn es die Coronapandemie zulässt, möchte er im nächsten Jahr für ein Austauschsemester nach Berlin.

Steril wie ein Jugendfreizeitheim, aber immerhin und endlich wieder: SCHACH! Der Spielabend des Schachvereins der Indiana University in Bloomington. Vor ein paar Jahren hätten noch zwei Tische gereicht. Mittlerweile kommen jede Woche 30 Leute und mehr, Tendenz steigend.

Als ich meine Verwunderung darüber ausdrückte, dass mit knapp 30 Spielern viel mehr Leute anwesend waren, als ich es erwartet hätte, erwiderte er, dass erst seit kurzer Zeit die Zahl der Mitglieder deutlich angestiegen sei.

Seiner Meinung nach aber nicht etwa wegen Corona oder der Netflixserie Damengambit, sondern vor allem, weil der Verein im Gegensatz zu früher online und auf dem Campus inzwischen viel mehr Werbung für sich macht.

Das wurde mir im Laufe des Abends von einer Reihe von Gesprächspartnern bestätigt: der Aufschwung des Vereins liegt vor allem daran, dass sich der Vorstand reinhängt.
Mein Reden schon immer gewesen: jeder Verein steht und fällt vor allem mit der Qualität seiner Funktionäre.

Und in der Tat stellen die nun etwa 30 Anwesenden pro Spielabend den Verein vor ein gewisses Problem, denn er besitzt gar nicht genug Spielmaterial für alle, und ist noch darauf angewiesen, dass einige Spieler ihr eigenes mitbringen. Einem Antrag auf weitere finanzielle Mittel von der Uni sei aber stattgegeben worden, und neues Spielmaterial und sogar einige Digitaluhren seien in Kürze zu erwarten. Die Universität stellt ihren Vereinen vergleichsweise großzügig Gelder zur Verfügung. Je grösser oder öffentlichkeitswirksamer ein Verein, desto leichter sei es, finanzielle Unterstützung zu bekommen. 

Die Hemmschwelle, es hier mal mit Schach zu versuchen, ist auch sehr niedrig. Im engeren Sinne ist es nämlich gar kein Verein; eine Mitgliedschaft ist nicht nötig. Jeder kann mitspielen, ganz ohne Mitgliedsbeiträge, einem formalen Beitritt, oder irgendeiner langfristigen Bindung. 

Wem Schach nicht gefällt, der kann sich in der Billardhalle der Universität versuchen

Zum festen Kern der Gruppe gehören zwei Spieler mit einer ELO von etwa 2100, viele blutige Anfänger, und eine Reihe von Spielern irgendwo dazwischen.

Frauen gibt es in dem Verein so gut wie gar keine - daran hat auch das Damengambit nichts geändert. Wobei ich, nebenbei bemerkt, persönlich die Logik, dass durch die Netflixserie nun die Frauen die Schachvereine stürmen würden, schon immer etwas schräg fand. Wahrscheinlich ist das Wunschdenken von genau den Männern, die sowieso schon immer am besten wussten, wie man Frauenschach organisieren sollte...

Und tatsächlich - als ich während einer Pause einen Rundgang durch das Gebäude machte, musste ich amüsiert feststellen, dass selbst die im Saal nebenan tagende Dungeons & Dragons Spielgruppe der Universität einen deutlich höheren Frauenanteil hat als der Schachverein.

Karthik jedenfalls wünscht sich für seinen Verein in erster Linie einfach mehr Mitglieder, egal ob es nun Männer oder Frauen sind. Er erzählte mir aber, dass er es in Indien auf dem Gymnasium gewohnt war, viel mehr Mädchen in den Schachgruppen spielen zu sehen.

Wem auch Billard nicht gefällt, der kann sich auf der universitätseigenen Bowlingbahn austoben. (Breiten-)Sport spielt an vielen nordamerikanischen Unis eine wichtige Rolle. Es ist beeindruckend, wie viele Sportanlagen in hervorragendem Zustand es hier auf dem Campus gibt.

Die Spielabende bestehen zumeist aus freiem Spiel zwischen den Anwesenden, und der Analyse der gespielten Partien. Organisiertes Training oder Wettkämpfe gibt es kaum. Zumindest das Trainingsangebot soll in der Zukunft aber noch ausgebaut werden, vor allem für diejenigen, die nicht viel mehr als die Regeln kennen.

Einige Studenten spielen aber in einer inoffiziellen "Liga" in loser Folge Wettkämpfe gegen andere Unis in den USA. Ausserdem verabredet man sich gelegentlich zu gemeinsamen Fahrten zu Schachturnieren in Indianapolis. Im Februar soll sogar ein Schnellschachturnier in Bloomington stattfinden. Dort möchte ich nach Möglichkeit dann auch mitmischen.

Darüber hinaus werden auf Lichess am Wochenende ab und zu Blitzturniere gespielt, das Passwort zur Teilnahme kommt jeweils per Newsletter vom Verein. 
 
Gelegentlich gelingt es auch, auf der Durchreise befindliche IMs oder FMs für Simultanveranstaltungen zu gewinnen. Das allerdings dann als Freundschaftsdienst; Geld kann und will der Verein dafür nicht ausgeben.

Nach einigen Stunden übermannte mich dann die Müdigkeit, ich bin eben nicht mehr der Jüngste, und ich verabschiedete mich mit der Ankündigung bzw. Drohung, wiederzukommen.

Fazit

Es hat viel Spass gemacht, nach langer Pause endlich mal wieder am Brett zu spielen. Gleichzeitig habe ich aber auch längst nicht mehr so viel Zeit wie in meiner Jugend, und im Hinterkopf schwingt immer die Frage mit, ob die Sache den vergleichsweise hohen Zeitaufwand wert ist. Ausserdem ist es frustrierend, erkennbar schlechter zu spielen als zu meinen besten Zeiten.

Andererseits war es hochinteressant für mich, ebenjener Basis einen Besuch abzustatten. Auch vor dem Hintergrund der Frage, wie es gelingen kann, gerade jetzt Menschen, die zum ersten mal mit Schach in Berührung gekommen sind, dauerhaft an dieses Hobby (und eben nicht notwendigerweise einen Verein oder ein Organisation) zu binden. 

Denn hier im Unischachverein steht ganz klar der Spass im Vordergrund. Für Wettkampfschach auf gehobenem Amateurniveau, wie man es in Deutschland findet, fehlen hier die Spieler, die Organisation, vielleicht auch der Wille, und sicher die Tradition. Macht aber nichts. Ich kam trotzdem auf meine Kosten und werde sicher noch eine Weile weiter hier mitmischen. GO Hoosiers!

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